Ehrenamtliche Arbeit lässt das alte Kino wieder aufleben. Die Eröffnund der Topothek konnte schon im historischen Rahmen stattfinden © Alexander Schatek
Kino, Golling, Niederösterreich

A / NÖ: Golling an der Erlauf: Präsentation und Eröffnung

Wo kommen sie denn her, alle die kleinen selbstverständlichen Dinge des Alltags wie Bindfäden, Schnüre, Kordeln oder Zwirn? Die vielen Seile in den unterschiedlichsten Stärken und Formen, die Garne, aus denen man Netze knüpft und Schuhbänder webt? Sollen diese Schnüre und Bänder dann roh, gebleicht oder gar schon gefärbt sein? In die ungeheure Komplexität und altes Fachwissen lässt uns die neue Topothek von Golling an der Erlauf blicken, wo vor 150 Jahren die „Erste Österreichische Hanfspinnerei und Bindfaden-Fabrik“ errichtet wurde, die über Generationen das Leben der Gemeinde bestimmte. Von der Vielfalt des Angebots kann man sich auf diesem Foto einen plastischen Eindruck
verschaffen, auf dem die Seiler ihre Ware präsentieren. Neben der Technik und den Produkten liegt das Schwergewicht dieser Topothek auch auf dem sozialen Leben, das hier in einer ländlichen Region als eine industrielle Insel bestehen musste. Die heute noch existierenden Bauten der Farbrikssiedlung geben über all die Jahrzehnte die Kulisse dieser Topothek, vor der die Menschen ihren Alltag verbracht haben und verbringen. Schon früh wurde hier ein Konsumverein gegründet, dessen schlichter aber für die Zeit hochmoderner Bau mit seiner eindrücklichen Aufschrift auf etlichen Bildern begleitet werden kann.
Ein weiteres architektonisches Kleinod stellt die Kombination aus Gemeindeamt und Kino dar, die beide noch erhalten sind und zumindest einen virtuellen Besuch wert sind. Besonders sie es jenen empfohlen, die nicht an der Eröffnung teilnehmen konnten. Hier im Kino, das in den 1970er-Jahren seinen Betrieb einstellte und von Ehernamtlichen restauriert wird, fand die Eröffnung der Topothek statt. Originale Wandpaneele, Teppiche, Terrazzoböden, Türen, Lettern, Sitze und Leuchten waren ein einzigartig stimmungsvoller Rahmen, der mit seinem historischen Kolorit die Bilder der Vergangenheit begleitete. Bürgermeister Alois Kammerer eröffnete die Sammlung vor mehr als 100 Besucherinnen und Besuchern, Alexander Schatek sprach einleitende Worte zum Wesen der Topothek und die Topothekare Johann Periny und Manfred Zwirner präsentierten eine Auswahl der Fotos. Larissa Popov, und Friedrich Grabner standen im Anschluss für detaillierte Fragen zur Verfügung. Mit Buffet und Stehtischen unter einem blühenden Kastanienbaum war die Stimmung wohl ähnlich jener, als wäre man im Jahr 1960 mit dem Lohner-Roller oder HMW-Moped ins Kino gekommen.

Die bereits über 2.000 Einträge fassende Topothek, für die Topothekar Manfred Zwirner auch seine umfangreiche Sammlung geöffnet hat, bietet neben den Bildern auch einen großartigen verbalen Schatz. So sind viele regionale oder mit dem Gewerbe der Flachsgewinnung (unser Titelbild) und –verarbeitung verbundene Begriffe wie Biadl hocken (Reisig hacken), Karderie, Kurzfasern, Hechel- und Schwungwerg, Hechelmaschine verewigt und mit Bildern illustriert.

Das Auffinden der Inhalte in dieser neuen Topothek, die uns bis zur 100-Jahr-Feier im Vorjahr führt, wird durch die umfangreichen Themenlisten unterstützt, mit denen man auf manche Inhalte stoßen kann, die man wohl gar nicht aus eigenem Antrieb entdeckt hätte. Besuchen Sie den Poliersaal oder das Hanfmagazin und lassen Sie sich von dieser nicht nur industriegeschichtlichen Sammlung faszinieren!

Ein Einblick in die Arbeit aus der Frühzeit der Flachsspinnerei. Brecheln und Hecheln: detailgetreu sind hier die Arbeiten beschrieben, die für die Geschichte der Gemeinde so eine große Rolle spielten © Scan: Manfred Zwirner